Gemeindechronik

Die reformierte Gemeinde zu Dresden im Wandel der Zeit

Keramiknachbildung des von Adam von Mányoki 1742 entworfenen und noch heute gebräuchlichen Gemeindesiegels
Keramiknachbildung des von Adam von Mányoki 1742 entworfenen und noch heute gebräuchlichen Gemeindesiegels

Die Chronik der Evangelisch-reformierten Gemeinde zu Dresden ist ein Spiegel tiefgreifender geschichtlicher Ereignisse von der Reformation bis zur Neuzeit. Waren es zunächst die harten Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der neuen evangelischen Glaubenslehre und den Katholiken – hier beispielsweise zu erfahren aus der Geschichte der Gründer unserer Gemeinde, den französischen Hugenotten, – so waren es über 150 Jahre später die Auseinandersetzungen zwischen den beiden evangelischen Konfessionen, die bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts reichten. Ab dem 20. Jh. schließlich waren es der 2. Weltkrieg, die darauffolgenden 40 Jahre atheistischer Staatsform und die Vereinigung Deutschlands 1990, die die Gemeinde erneut vor Schwierigkeiten stellten.

Geschichte der französischen Hugenotten

Zwei Jahrhunderte zwischen Duldung und Verfolgung

Mit „Hugenotten“ bezeichnete man im 16. Jahrhundert die französischen Protestanten, die den Lehren des Genfer Reformators Johannes Calvin folgten. Zur Herkunft des Namens gibt es verschiedene Deutungen. Am überzeugendsten ist die Ableitung „huguenots“ von „Hugues“, nach einem Sagenkönig Hugo, der des Nachts als Gespenst durch die Stadt Tours geisterte. So im Verborgenem trafen sich auch die Hugenotten nachts zu ihren Versammlungen.

Der Name „Hugenotten“ steht in späterer Zeit auch synonym für nichtfranzösische Reformierte calvinistischer Prägung.

Wegen dieses Glaubens lebten die Hugenotten in Frankreich fast zwei Jahrhunderte lang zwischen Duldung und grausamster Verfolgung – bis zur endgültigen Konsequenz, der Flucht. Ihr Schicksal war eng verknüpft mit der Stellung der jeweiligen Regenten zur neuen reformierten Glaubenslehre, ihrer sympathisierenden oder auch nur taktierenden Toleranz oder ihrer ausgesprochenen Gegnerschaft. Da es häufigen Thronwechsel gab, wechselten auch Pro und Contra ständig ab.

Der Protestantismus etabliert sich im katholischen Frankreich

1519 tauchen erste Protestanten in Frankreich auf, sie sind Anhänger Luthers (Luthériens). Bald jedoch setzt sich innerhalb der reformatorischen Bewegung die Lehre Johannes Calvins durch. Sie gibt dem französischen Protestantismus eine eigenständige Färbung. Überall im Land entstehen jetzt calvinisch reformierte Gemeinden, trotz Verfolgung durch das katholische Könighaus. Im Todesjahr Heinrich II., 1559, schließen sie sich zur „Protestantischen Kirche Frankreichs“ zusammen (Synode von Paris). Sie geben sich eine Gemeindeordnung (discipline ecclesiastique) und formulieren ein Glaubensbekenntnis (confession de foi), das als „Confessio Gallicana“ bekannt geworden ist.

Die Lage im Frankreich des 16./17. Jahrhunderts ist geprägt von großer politischer Instabilität und blutigen Auseinandersetzungen innerhalb des Landes. Verschiedene Interessen überlagern sich. Auf den Thron gekommen ist nach dem Tode Heinrich II. (1559) dessen 16-jähriger Sohn Franz II. mit seiner Gemahlin Maria Stuart. Er ernennt die Onkel Marias, den Kardinal Charles de Guise und den Herzog François de Guise, zu seinen Beratern. Beide sind die Führer der streng katholischen Partei in Frankreich und besonders intolerante Verfolger der protestantischen Lehre. Um den großen Einfluss der Guisen auf den König auszuschalten, planen 1560 Anhänger des Protestantismus aus dem Haus Bourbon – darunter auch Louis I Prinz von Condé – ein Komplott (Verschwörung von Amboise). Es wird vorzeitig aufgedeckt, und die Gegenreformation hat einige Trümpfe mehr in der Hand.

Noch im gleichen Jahr stirbt Franz II., sein 10-jähriger Bruder Karl IX. wird König. Regentin ist seine Mutter Katharina von Medici. Sie versucht, den wachsenden Spannungen zwischen den beiden religiösen Parteien zu begegnen und die Stellung der französischen Krone dazwischen zu sichern. Sie erlässt im Januar 1562 ein Edikt, in dem den Hugenotten freie Religionsausübung außerhalb der Städte gewährt wird. (Edikt von St. Germain)

Blutbad von Vassy – Auftakt zu 10 Hugenottenkriegen

Gegen diesen Erlass intrigieren die Kreise um den Herzog François de Guise. In den Augen der Hugenotten ist das Hochverrat. Dies wird zu ihrem Argument bei dem bald ausbrechenden bewaffneten Kampf der Hugenotten, der sich nicht gegen den König, sondern gegen seine intriganten Berater richtet. Anlass dafür und damit Auftakt für 10 Hugenottenkriege bis 1629, ist das Blutbad von Vassy am 1. März 1562. Truppen des Herzogs François de Guise ermorden Teilnehmer eines hugenottischen Gottesdienstes. Führer des Kampfes – mit seinen Zentren im Süden Montpellier, Nimes und Beziers und im Norden Rouen und Orleans – sind auf hugenottischer Seite der Prinz von Condé und Admiral von Frankreich Gaspard de Coligny. Die Gewalt nimmt ihren Lauf: Anfang 1563 wird François de Guise ermordet, 1569 fällt Louis I Prinz von Condé in der Schlacht.

Nach dem 3. Krieg, 1570, erhalten die Hugenotten 4 Städte (La Rochelle, Montauban, La Charité, Cognac) als Sicherheitsplätze (Frieden von Saint-Germain-en-Laye). Der Konflikt geht aber weiter.

Pariser Bluthochzeit mit Bartholomäusnacht im August 1572

Am 18. August 1572 heiratet Margarete von Valois, die Schwester König Karls IX., den Protestanten und Hugenottenführer Heinrich v. Bourbon-Navarra. Die Hochzeitsfeierlichkeiten sollten zur Verständigung zwischen den beiden religiösen Gruppierungen beitragen, und so sind neben den dem Herrscherhaus nahestehenden Katholiken auch viele Hugenotten nach Paris geladen.

Der Versuch endet schrecklich, die Hochzeit geht als „Pariser Bluthochzeit“ in die Geschichte ein. Gegnerin des Versöhnungsgedankens ist die Königmutter Katharina v. Medici, maßgeblich beeinflusst durch den Vertreter der radikalen Katholiken Henri I. de Guise, Sohn des François de Guise. Sie missbilligen den gewachsenen Einfluss Colignys auf König Karl IX. und planen eine groß angelegte Aktion gegen den Admiral und alle Hugenotten. Diese beginnt mit einem missglückten Attentat auf de Coligny am 22. August und gipfelt in einem grausamen Massaker in der Nacht vom 23. zum 24. August (Bartholomäusnacht), in der nun auch de Coligny ermordet wird. In ganz Frankreich müssen binnen 4 Wochen Tausende Hugenotten (nach neueren Angaben ca. 20.000) ihr Leben lassen, in Paris allein etwa 3000. Heinrich von Navarra wird verschont und am Hof gefangen genommen. Er kann jedoch fliehen und übernimmt einige Zeit später (1576) wieder die Führung der Hugenotten. Es folgen weitere Religionskriege.

Entspannung unter Heinrich III. und Heinrich IV.

Nach dem Tod Karls IX. 1574 besteigt Heinrich III. den Thron. Er sympathisiert zunächst mit den Hugenotten und gesteht ihnen – erstmals im Frieden von Beaulieu 1576 – weitgehende Religionsfreiheit zu. Etwa gleichzeitig formiert sich die radikal-katholische Heilige Liga und erwählt Henri de Guise und dessen Bruder, Kardinal Louis de Guise, zu ihren Anführern. Dies stellt gleichermaßen eine Bedrohung für den König – Henri de Guise erstrebt neben der kirchlichen auch die politische Macht – wie für die Hugenotten dar. Auf Druck dieser Liga widerruft Heinrich III. 1585 alle an die Hugenotten vergebenen Rechte und stellt sie vor die Alternative, entweder zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Dies ist der Auslöser für den inzwischen 8. Hugenottenkrieg. 1588 lässt der König Henri de Guise und Kardinal Louis de Guise ermorden, um sich aus der Umklammerung durch die Liga zu befreien. Damit macht er sich die Liga zum erklärten Feind.

König Heinrich III. verbündet sich nun mit dem hugenottischen Heinrich v. Navarra und wird daraufhin 1589 durch einen Dominikanermönch ermordet. Sein rechtmäßiger Nachfolger ist Heinrich v. Navarra. Um den Frieden im Land und dessen Integrität wieder herzustellen, tritt dieser 1593 zum Katholizismus über („Paris ist eine Messe wert“) und besteigt als Heinrich IV. den französischen Thron.

Am 30. April 1598 unterzeichnet er das berühmt gewordene Edikt von Nantes, das den Hugenotten weitgehend freie Religionsausübung und einen politischen Sonderstatus gewährt. 1610, am 14. Mai, wird Heinrich IV. Opfer eines katholischen Attentäters.

Nachfolger ist sein Sohn, der erst 9 jährige Ludwig XIII. Die Regentschaft liegt in der Hand von dessen Mutter Maria v. Medici. Ab 1624 lenkt jedoch der Erste Minister im Staatsrat, Kardinal Richelieu, maßgeblich die Geschicke des Landes. Die künftigen politischen Entscheidungen tragen seine Handschrift.

Das Blatt wendet sich

Die Kriege flammten bereits 1621 wieder auf. 1628 fällt die Hugenottenfestung La Rochelle. Danach müssen die Hugenotten auf alle militärischen und politischen Sonderrechte verzichten, Glaubensausübung und kirchliche Organisation werden aber weiterhin geduldet (Gnadenedikt von Alès, 1629).

Am 18. Oktober 1685 hebt Ludwig XIV., der inzwischen die Nachfolge seines Vaters Ludwig XIII. angetreten hatte, mit dem Edikt v. Fontainebleau das Toleranzedikt von Nantes auf. Schon vorher war der Druck auf die Hugenotten immens verstärkt worden (Zwangsbekehrungen, Ausreiseverbot, Dragonaden).

Verfolgung und Flucht aus Frankreich

Die Aufhebung der Toleranz setzt eine Flucht ungeheueren Ausmaßes in Gang. Etwa 160.000 Franzosen – vorwiegend aus Bürgertum und Kleinadel – verlassen Frankreich. Als Flüchtlinge (refugiés) kommen sie nach Nordamerika, die Niederlande, England und in deutsche Staaten, die reformiert geprägt sind, z. B. Pfalz, Nassau, Kurhessen. Im besonderen Maße ist es hier Brandenburg-Preußen, das Hugenotten aufnimmt. Die Kurfürsten von Brandenburg waren 1613 unter Johann Sigismund reformiert geworden. Auf das Edikt von Fontainebleau reagiert Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, am 7. November 1685 mit dem Edikt von Potsdam, das die Flüchtlinge ausgesprochenermaßen einlädt, nach Brandenburg zu kommen. Infolge dieser Zuwanderung belebt sich die Wirtschaft Brandenburgs außerordentlich.

Einige wenige Flüchtlinge finden auch im lutherischen Sachsen Unterkunft.
1689 gründen die Hugenotten in Dresden eine Gemeinde, 1701 in Leipzig.

Das Hugenottenkreuz

Das Hugenottenkreuz

ist das Erkennungszeichen der französischen Reformierten und als Symbol zu verstehen. Die Deutungen sind jedoch sehr unterschiedlich überliefert. Eine davon besagt: Die Lilien zwischen den Kreuzarmen – das Wappen der Bourbonen – stehen für die Hugenottenfreundlichkeit dieses Herrscherhauses (Prinz v. Condé, Heinrich v. Navarra), und die kleinen Kugeln sind die unzähligen Tränen, die in den schweren Jahren der Verfolgung geweint wurden. Eine andere Deutung ist: die Lilien symbolisieren die 4 Evangelien oder auch die 12 Apostel (4 Blüten aus je 3 Blütenblättern), die Kugeln die 8 Seligpreisungen. Die Taube ist das Sinnbild des Heiligen Geistes. Die abgebildete endgültige Form des Kreuzes wurde etwa seit 1688 getragen. Sie entwickelte sich – vermutlich in mehreren Varianten – aus dem Kreuz des Ordens Saint Esprit (Heiliger Geist).

Literaturhinweis: Eberhard Gresch, Die Hugenotten – Geschichte, Glaube und Wirkung (Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2. Auflage 2005)

Augsburger Religionsfrieden

Der lutherische Protestantismus wird reichsrechtlich anerkannt.

Die militärischen Auseinandersetzungen, die im deutschen Reichsgebiet infolge der lutherischen Reformation entstanden waren (Schmalkaldischer Krieg 1547, Fürstenaufstand 1553), wurden im September 1555 auf dem Reichstag zu Augsburg beendet. Der dort besiegelte Reichsfrieden ist als Augsburger Religionsfrieden in die Geschichte eingegangen.

Auf diesem Reichstag wird der Protestantismus lutherischer Prägung, wie er sich in der Confessio Augustana (Augsburger Bekenntnis) von 1530 darstellt, reichsrechtlich anerkannt. Damit gibt das Reich seine Religionseinheit auf. Protestantische Fürstentümer werden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation toleriert. Die Konfession des Landesfürsten bestimmt die Konfession seiner Untertanen (Formel: cuius regio eius religio = wes das Land, des der Glaube). Andersgläubige mussten auswandern.

Alle protestantischen Strömungen außerhalb der Confessio Augustana (z.B. Reformierte, Täufer) waren von diesem Religionsfrieden ausgeschlossen. Für sie kam die Tolerierung erst mit dem Westfälischen Frieden am Ende des 30-jährigen Krieges 1648.

Die Anfänge der Gemeinde

Die Gründer der Dresdner reformierten Gemeinde waren französische Hugenotten, die nach dem Erlass des Edikts von Fontainebleau (1685) wegen ihres Glaubens aus Frankreich fliehen mussten. Von den etwa hundertsechzigtausend Flüchtlingen kamen einige wenige bis in das lutherische Sachsen nach Dresden und trafen sich hier regelmäßig zu ihren Gottesdiensten und Abendmahlsfeiern. 1689 nahmen sie einen jungen französischen Prediger in den Dienst. Dies sah man später als die offizielle Gründung der Evangelisch-reformierten Gemeinde zu Dresden an. Noch wurde ausschließlich französisch gesprochen.

Die Zusammenkünfte mussten jedoch im Geheimen stattfinden, denn calvinisch Reformierte waren im lutherischen Sachsen nicht geduldet. Damals galt, dass die Religion des Landesfürsten die Religion seiner Untertanen zu sein hatte: „Cuius regio eius religio“. Dieser Grundsatz wurde im Augsburger Religionsfrieden 1555 aufgestellt und hat noch immer Gültigkeit.

Die Dresdner Gemeinde versammelte sich also im Verborgenen, in Privathäusern von Mitgliedern, zu denen Handwerker und Kaufleute, bald aber auch angesehene Leute des Hofs gehörten. So traf man sich u.a. von 1689 – 1704 im Haus des Perückenmachers Hennequin oder etwas später, um 1708, im Palais des Grafen von Hoym, des Ehemanns der Gräfin Cosel, bevor sie die Mätresse Augusts des Starken wurde.

Fast 130 Jahre bis zur endgültigen Akzeptanz

Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts verbesserte sich allmählich die Situation der Reformierten in Dresden. Sie wurden jetzt wenigstens geduldet, hatten aber noch keinerlei Rechte. Zum Beispiel mussten Taufen, Trauungen und Beerdigungen weiterhin in lutherischen Gemeinden durch lutherische Geistliche gegen Gebühren (sog. Stolgebühren) durchgeführt werden. In deren Kirchenbüchern wurden sie auch registriert.

Erst mit dem Erlass vom 16.08.1764 erhielt die Gemeinde das Recht, diese Amtshandlungen selbst vorzunehmen. Nun war es auch möglich geworden, eigene Kirchenbücher zu führen (bis 1818 in französischer Sprache). Sie sind bis heute erhalten geblieben.

Bald darauf konnte eine Kirche gebaut werden. Am 26.07.1767 feierte die Gemeinde dort ihren ersten Gottesdienst.

Bis jetzt bestand die inzwischen auf 300 – 400 Mitglieder angewachsene Gemeinde fast ausschließlich aus Franzosen. Zunehmend traten aber auch Deutsche bei, so dass wenig später ein zweiter – deutschsprachiger – Pfarrer angestellt werden musste.

Das königlich-sächsische Mandat von 1811

Die Verhältnisse verbesserten sich spürbar aber erst nach dem königlich-sächsischen Mandat vom 18.03.1811 (Bild unten), mit dem die Reformierten den Lutheranern und Katholiken gleichgestellt wurden.

Das Regulativ vom 07.08.1818 brachte dann die endgültige Akzeptanz der Sonderstellung der reformierten Gemeinde als reformierte Presbyterialkirche im Unterschied zur lutherischen Konsistorialkirche. Die Kirchenbücher wurden endlich als rechtsgültige Dokumentationen anerkannt.

Von einer französisch-reformierten
zu einer deutsch-reformierten Gemeinde

Die unterdessen etwa 600 Mitglieder zählende Gemeinde bestand jetzt in der Mehrheit aus Deutschen. Französischen Gottesdienst gab es nur noch 1x im Monat. Auch die Schriftsprache wurde allmählich ausschließlich deutsch.

Ernst Volkmar Kohlschütter
(1812 – 1889)

Um 1835 hatte sich das Verhältnis zur lutherischen Kirche so weit entspannt, dass die Gemeinde sogar den Lutheraner Ernst Volkmar Kohlschütter (späterer Superintendent der Dresdner Kreuzkirche) für sechs Jahre als Hilfsprediger anstellte – ein frühes Zeichen von Ökumene, die die Dresdner Reformierten immer wieder praktizierten.

An der Schwelle zum 20. Jahrhundert war aus der ehemals französisch-reformierten Gemeinde eine deutsch-reformierte Gemeinde geworden. Sie blieb nicht mehr nur auf den Dresdner Raum beschränkt, sondern umfasste auch alle Reformierten Ostsachsens, die von Dresden aus betreut wurden. In dieser Konstellation kam sie auf etwa 5000 Mitglieder.

Das alte Gemeindehaus konnte die so groß gewordene Gemeinde nicht mehr fassen, außerdem reflektierte die Stadt Dresden für den Bau ihres neuen Rathauses auf das Grundstück des Gemeindehauses. Deshalb wurde 100 m vom alten Standort entfernt eine neue Kirche gebaut, dreischiffig mit Empore, im neugotischen Stil. Am 07.03.1894 feierte man den Eröffnungsgottesdienst.

Reformierte Kirche am Külzring
Die Kirche nach der Zerstörung
Innenraum der Notkirche 1948

Die Gemeinde im Sog der politischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts

Im Feuersturm des 13. Februar 1945 brannte diese Kirche aus. Alle Unterlagen, mit Ausnahme der Kirchenbücher, gingen verloren. Jedoch konnte bald an einen wenigstens provisorischen Wiederaufbau gedacht werden. Die Kirche bekam – um fast die Hälfte tiefer – ein neues Dach.

Das Weihnachtsfest 1948 konnte die Gemeinde schon in der wiederhergestellten (Not-) Kirche feiern. Am 12.11.1949 erklang auch wieder eine Orgel zum Gottesdienst.

Wenige Jahre später musste die Gemeinde auf Betreiben der Stadt Dresden ihren Kirchenstandort verlassen, die Kirche stand dem sozialistischen Aufbau im Wege und wurde abgerissen. Wieder einmal musste ein neues Domizil gesucht werden. Man fand es in der Ruine des ehemaligen Hofgärtnerhauses am Brühlschen Garten, das 1750 durch den Hofbaumeister Knöffel errichtet und am 13.02.1945 völlig ausgebrannt war. Nach geschickten Tauschverhandlungen durch den damaligen Pfarrer, August de Haas, wurde hier 1956/57 das neue Gemeindezentrum mit Kirchsaal, Verwaltungs- und Gemeinderäumen, der Hausmeisterwohnung und einem Seniorenheim mit 30 kleinen Einzelzimmern errichtet. Mit überragender finanzieller Unterstützung durch das Hilfswerk Evangelischer Kirchen in der Schweiz konnte es in kurzer Zeit vollendet werden.

Im Oktober 1956 wurde der Kirchsaal eingeweiht, im folgenden Sommer das Seniorenheim „August de Haas“ bezogen.

August de Haas – Gemeindepfarrer in schwerer Zeit

August de Haas

August de Haas (07.09.1901 – 09.07.1956) war von 1936 an bis zu seinem Tod 1956 Pfarrer der evangelisch-reformierten Gemeinde zu Dresden. Unter seiner Leitung entstand das Gemeindezentrum am Brühlschen Garten mit dem nach ihm benannten Seniorenheim, dessen Vollendung er jedoch nicht mehr erleben konnte.

Die fast 20jährige Dresdner Amtszeit war geprägt von schwerwiegenden Ereignissen: der 2. Weltkrieg und die Sorgen der Gemeindeglieder um Ehemänner, Söhne, Brüder und Freunde an der Front; der 13. Februar 1945, der die reformierte Kirche – und ganz Dresden – in Schutt und Asche legte; der schwierige, behelfsmäßige Wiederaufbau der Kirche; kurze Zeit danach deren Quasi – Enteignung durch den Staat und der erneute Aufbau eines Gemeindedomizils – wir haben es in der Gemeindegeschichte gelesen. Bei all dem war Pfarrer de Haas seiner Gemeinde ein Prediger, der seine große rednerische Gabe ganz in den Dienst der Verkündigung des Wortes Gottes stellte; und er war ein Mann der Tat, der den Trümmern auf den Straßen wie in den Herzen der Menschen mit persönlichem Einsatz, mit Mut und Hoffnung begegnete.

Diese Haltung prägte auch die Gestaltung des neuen Gemeindezentrums, das die Gemeinde in den Jahren 1954 – 1956 zu bauen gezwungen war: Keine repräsentative Kirche sollte es sein, sondern ein schlichtes Gemeindehaus, das einen Kirchsaal und ein Altenheim in sich birgt – eine „Heimstatt“ für alle, Christen und Nichtchristen. Lassen wir August de Haas selbst dazu sprechen:¹

„Die Kirche ist eine dienende Kirche oder sie ist sie nicht. Sie steht an der Straße, aber nicht, um zu sagen: „Siehe, da bin ich“, sondern zu fragen und Ausschau zu halten nach dem, der auf den Wegen dieses Lebens müde und verzagt geworden ist und der auf den Straßen, über die er geführt ward, keine Heimat finden konnte, und der in der Stille und Abgeschlossenheit des gemeindlichen Hauses jetzt wieder hören und erfahren kann, dass er auf dem Heimweg ist. Denn wir sind „Pilger, wie alle unsere Väter“. Das darf eine nach Gottes Wort reformierte Gemeinde niemals vergessen. Das gibt ihr Mut und Zuversicht, auch wenn sie in einer 250jährigen Geschichte nun zum vierten oder fünften Male sich eine Heimstatt zu bauen genötigt ist.“


¹ Abgedruckt im Monatsblatt der Ev.-ref. Kirche in Sachsen „Friede und Freiheit“ (1954, Nr. 5/6)

Deutsche Einheit 1990 – für die Gemeinde erneut ein einschneidender Prozess

Die Vereinigung Deutschlands brachte die Gemeinde von Neuem in Schwierigkeiten. Das Seniorenheim entsprach nicht mehr den Erfordernissen der Heimmindestbauverordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die Zimmer mussten vergrößert werden. Den Raum dazu fand man im Kirchsaal, der unter den Heimzimmern lag. Aus ihm entstanden 2 Etagen neuer Wohnbereich. 1999 erfolgte der entsprechende Umbau. Kirchraum wurde der Kanonenhof der Festungsanlage, der sich unter dem Gemeindehaus befand. (Architekt des Umbaus: W. Hößelbarth).

Am 31. Oktober 1999 konnte die Gemeinde den ersten Gottesdienst in den historischen Mauern feiern. 2017 wurde der Heimbetrieb eingestellt und die Gemeinde vermietet Gästezimmer im Hofgärtnerhaus.

Eingang in den als Kirchraum ausgebauten Kanonenhof