Zwei Jahrhunderte zwischen Duldung und Verfolgung
Mit „Hugenotten“ bezeichnete man im 16. Jahrhundert die französischen Protestanten, die den Lehren des Genfer Reformators Johannes Calvin folgten. Zur Herkunft des Namens gibt es verschiedene Deutungen. Am überzeugendsten ist die Ableitung „huguenots“ von „Hugues“, nach einem Sagenkönig Hugo, der des Nachts als Gespenst durch die Stadt Tours geisterte. So im Verborgenem trafen sich auch die Hugenotten nachts zu ihren Versammlungen.
Der Name „Hugenotten“ steht in späterer Zeit auch synonym für nichtfranzösische Reformierte calvinistischer Prägung.
Wegen dieses Glaubens lebten die Hugenotten in Frankreich fast zwei Jahrhunderte lang zwischen Duldung und grausamster Verfolgung – bis zur endgültigen Konsequenz, der Flucht. Ihr Schicksal war eng verknüpft mit der Stellung der jeweiligen Regenten zur neuen reformierten Glaubenslehre, ihrer sympathisierenden oder auch nur taktierenden Toleranz oder ihrer ausgesprochenen Gegnerschaft. Da es häufigen Thronwechsel gab, wechselten auch Pro und Contra ständig ab.
Der Protestantismus etabliert sich im katholischen Frankreich
1519 tauchen erste Protestanten in Frankreich auf, sie sind Anhänger Luthers (Luthériens). Bald jedoch setzt sich innerhalb der reformatorischen Bewegung die Lehre Johannes Calvins durch. Sie gibt dem französischen Protestantismus eine eigenständige Färbung. Überall im Land entstehen jetzt calvinisch reformierte Gemeinden, trotz Verfolgung durch das katholische Könighaus. Im Todesjahr Heinrich II., 1559, schließen sie sich zur „Protestantischen Kirche Frankreichs“ zusammen (Synode von Paris). Sie geben sich eine Gemeindeordnung (discipline ecclesiastique) und formulieren ein Glaubensbekenntnis (confession de foi), das als „Confessio Gallicana“ bekannt geworden ist.
Die Lage im Frankreich des 16./17. Jahrhunderts ist geprägt von großer politischer Instabilität und blutigen Auseinandersetzungen innerhalb des Landes. Verschiedene Interessen überlagern sich. Auf den Thron gekommen ist nach dem Tode Heinrich II. (1559) dessen 16-jähriger Sohn Franz II. mit seiner Gemahlin Maria Stuart. Er ernennt die Onkel Marias, den Kardinal Charles de Guise und den Herzog François de Guise, zu seinen Beratern. Beide sind die Führer der streng katholischen Partei in Frankreich und besonders intolerante Verfolger der protestantischen Lehre. Um den großen Einfluss der Guisen auf den König auszuschalten, planen 1560 Anhänger des Protestantismus aus dem Haus Bourbon – darunter auch Louis I Prinz von Condé – ein Komplott (Verschwörung von Amboise). Es wird vorzeitig aufgedeckt, und die Gegenreformation hat einige Trümpfe mehr in der Hand.
Noch im gleichen Jahr stirbt Franz II., sein 10-jähriger Bruder Karl IX. wird König. Regentin ist seine Mutter Katharina von Medici. Sie versucht, den wachsenden Spannungen zwischen den beiden religiösen Parteien zu begegnen und die Stellung der französischen Krone dazwischen zu sichern. Sie erlässt im Januar 1562 ein Edikt, in dem den Hugenotten freie Religionsausübung außerhalb der Städte gewährt wird. (Edikt von St. Germain)
Blutbad von Vassy – Auftakt zu 10 Hugenottenkriegen
Gegen diesen Erlass intrigieren die Kreise um den Herzog François de Guise. In den Augen der Hugenotten ist das Hochverrat. Dies wird zu ihrem Argument bei dem bald ausbrechenden bewaffneten Kampf der Hugenotten, der sich nicht gegen den König, sondern gegen seine intriganten Berater richtet. Anlass dafür und damit Auftakt für 10 Hugenottenkriege bis 1629, ist das Blutbad von Vassy am 1. März 1562. Truppen des Herzogs François de Guise ermorden Teilnehmer eines hugenottischen Gottesdienstes. Führer des Kampfes – mit seinen Zentren im Süden Montpellier, Nimes und Beziers und im Norden Rouen und Orleans – sind auf hugenottischer Seite der Prinz von Condé und Admiral von Frankreich Gaspard de Coligny. Die Gewalt nimmt ihren Lauf: Anfang 1563 wird François de Guise ermordet, 1569 fällt Louis I Prinz von Condé in der Schlacht.
Nach dem 3. Krieg, 1570, erhalten die Hugenotten 4 Städte (La Rochelle, Montauban, La Charité, Cognac) als Sicherheitsplätze (Frieden von Saint-Germain-en-Laye). Der Konflikt geht aber weiter.
Pariser Bluthochzeit mit Bartholomäusnacht im August 1572
Am 18. August 1572 heiratet Margarete von Valois, die Schwester König Karls IX., den Protestanten und Hugenottenführer Heinrich v. Bourbon-Navarra. Die Hochzeitsfeierlichkeiten sollten zur Verständigung zwischen den beiden religiösen Gruppierungen beitragen, und so sind neben den dem Herrscherhaus nahestehenden Katholiken auch viele Hugenotten nach Paris geladen.
Der Versuch endet schrecklich, die Hochzeit geht als „Pariser Bluthochzeit“ in die Geschichte ein. Gegnerin des Versöhnungsgedankens ist die Königmutter Katharina v. Medici, maßgeblich beeinflusst durch den Vertreter der radikalen Katholiken Henri I. de Guise, Sohn des François de Guise. Sie missbilligen den gewachsenen Einfluss Colignys auf König Karl IX. und planen eine groß angelegte Aktion gegen den Admiral und alle Hugenotten. Diese beginnt mit einem missglückten Attentat auf de Coligny am 22. August und gipfelt in einem grausamen Massaker in der Nacht vom 23. zum 24. August (Bartholomäusnacht), in der nun auch de Coligny ermordet wird. In ganz Frankreich müssen binnen 4 Wochen Tausende Hugenotten (nach neueren Angaben ca. 20.000) ihr Leben lassen, in Paris allein etwa 3000. Heinrich von Navarra wird verschont und am Hof gefangen genommen. Er kann jedoch fliehen und übernimmt einige Zeit später (1576) wieder die Führung der Hugenotten. Es folgen weitere Religionskriege.
Entspannung unter Heinrich III. und Heinrich IV.
Nach dem Tod Karls IX. 1574 besteigt Heinrich III. den Thron. Er sympathisiert zunächst mit den Hugenotten und gesteht ihnen – erstmals im Frieden von Beaulieu 1576 – weitgehende Religionsfreiheit zu. Etwa gleichzeitig formiert sich die radikal-katholische Heilige Liga und erwählt Henri de Guise und dessen Bruder, Kardinal Louis de Guise, zu ihren Anführern. Dies stellt gleichermaßen eine Bedrohung für den König – Henri de Guise erstrebt neben der kirchlichen auch die politische Macht – wie für die Hugenotten dar. Auf Druck dieser Liga widerruft Heinrich III. 1585 alle an die Hugenotten vergebenen Rechte und stellt sie vor die Alternative, entweder zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Dies ist der Auslöser für den inzwischen 8. Hugenottenkrieg. 1588 lässt der König Henri de Guise und Kardinal Louis de Guise ermorden, um sich aus der Umklammerung durch die Liga zu befreien. Damit macht er sich die Liga zum erklärten Feind.
König Heinrich III. verbündet sich nun mit dem hugenottischen Heinrich v. Navarra und wird daraufhin 1589 durch einen Dominikanermönch ermordet. Sein rechtmäßiger Nachfolger ist Heinrich v. Navarra. Um den Frieden im Land und dessen Integrität wieder herzustellen, tritt dieser 1593 zum Katholizismus über („Paris ist eine Messe wert“) und besteigt als Heinrich IV. den französischen Thron.
Am 30. April 1598 unterzeichnet er das berühmt gewordene Edikt von Nantes, das den Hugenotten weitgehend freie Religionsausübung und einen politischen Sonderstatus gewährt. 1610, am 14. Mai, wird Heinrich IV. Opfer eines katholischen Attentäters.
Nachfolger ist sein Sohn, der erst 9 jährige Ludwig XIII. Die Regentschaft liegt in der Hand von dessen Mutter Maria v. Medici. Ab 1624 lenkt jedoch der Erste Minister im Staatsrat, Kardinal Richelieu, maßgeblich die Geschicke des Landes. Die künftigen politischen Entscheidungen tragen seine Handschrift.
Das Blatt wendet sich
Die Kriege flammten bereits 1621 wieder auf. 1628 fällt die Hugenottenfestung La Rochelle. Danach müssen die Hugenotten auf alle militärischen und politischen Sonderrechte verzichten, Glaubensausübung und kirchliche Organisation werden aber weiterhin geduldet (Gnadenedikt von Alès, 1629).
Am 18. Oktober 1685 hebt Ludwig XIV., der inzwischen die Nachfolge seines Vaters Ludwig XIII. angetreten hatte, mit dem Edikt v. Fontainebleau das Toleranzedikt von Nantes auf. Schon vorher war der Druck auf die Hugenotten immens verstärkt worden (Zwangsbekehrungen, Ausreiseverbot, Dragonaden).
Verfolgung und Flucht aus Frankreich
Die Aufhebung der Toleranz setzt eine Flucht ungeheueren Ausmaßes in Gang. Etwa 160.000 Franzosen – vorwiegend aus Bürgertum und Kleinadel – verlassen Frankreich. Als Flüchtlinge (refugiés) kommen sie nach Nordamerika, die Niederlande, England und in deutsche Staaten, die reformiert geprägt sind, z. B. Pfalz, Nassau, Kurhessen. Im besonderen Maße ist es hier Brandenburg-Preußen, das Hugenotten aufnimmt. Die Kurfürsten von Brandenburg waren 1613 unter Johann Sigismund reformiert geworden. Auf das Edikt von Fontainebleau reagiert Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, am 7. November 1685 mit dem Edikt von Potsdam, das die Flüchtlinge ausgesprochenermaßen einlädt, nach Brandenburg zu kommen. Infolge dieser Zuwanderung belebt sich die Wirtschaft Brandenburgs außerordentlich.
Einige wenige Flüchtlinge finden auch im lutherischen Sachsen Unterkunft.
1689 gründen die Hugenotten in Dresden eine Gemeinde, 1701 in Leipzig.
Das Hugenottenkreuz
ist das Erkennungszeichen der französischen Reformierten und als Symbol zu verstehen. Die Deutungen sind jedoch sehr unterschiedlich überliefert. Eine davon besagt: Die Lilien zwischen den Kreuzarmen – das Wappen der Bourbonen – stehen für die Hugenottenfreundlichkeit dieses Herrscherhauses (Prinz v. Condé, Heinrich v. Navarra), und die kleinen Kugeln sind die unzähligen Tränen, die in den schweren Jahren der Verfolgung geweint wurden. Eine andere Deutung ist: die Lilien symbolisieren die 4 Evangelien oder auch die 12 Apostel (4 Blüten aus je 3 Blütenblättern), die Kugeln die 8 Seligpreisungen. Die Taube ist das Sinnbild des Heiligen Geistes. Die abgebildete endgültige Form des Kreuzes wurde etwa seit 1688 getragen. Sie entwickelte sich – vermutlich in mehreren Varianten – aus dem Kreuz des Ordens Saint Esprit (Heiliger Geist).
Literaturhinweis: Eberhard Gresch, Die Hugenotten – Geschichte, Glaube und Wirkung (Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2. Auflage 2005)