… ihr Ausmaß war ungeheuerlich und bedrohte die Existenz der Gemeinde.
Kaum 3 Jahre nach der Einweihung ihrer „Kanonenhofkirche“, im Sommer 2002, traf die Gemeinde erneutes Unheil, das sie wieder an den Rand ihrer Existenz brachte. Sie wurde Opfer einer großen Flutkatastrophe, die in ihrer Dimension so ungeheuerlich war, dass sie hier ausführlicher festgehalten sei:
Die Ursachen der Flut
Durch ein außergewöhnliches Aufeinandertreffen von feuchtwarmer Luft aus dem Mittelmeerraum und kalten Winden aus dem Norden schüttete es im August 2002 in kürzester Zeit ungeheure Regenmengen zur Erde. Betroffen waren vor allem die Länder Tschechien und Österreich und in Deutschland Bayern und der Raum Erzgebirge – Elbsandsteingebirge – Dresden, sowie Städte und Gemeinden im weiteren Verlauf von Mulde und Elbe. In Dresden wurden an einem einzigen Tag, am 12. August, 126,9l Niederschlag pro Quadratmeter gemessen – das ist die durchschnittliche Menge von drei Monaten.
Für die sächsische Hauptstadt war die Konstellation besonders ungünstig: Dresden hatte nicht nur mit dem Jahrhunderthochwasser der Elbe zu kämpfen, sondern schon vorher standen weite Teile der Innenstadt unter Wasser durch die zu einem reißenden Strom gewordene Weißeritz, einem Flüsschen aus dem Erzgebirge. Die Folge dieser Überschwemmung war eine völlig überforderte Kanalisation, die sich ihrerseits dadurch „Luft“ verschaffte, dass sie alle Abwässer durch die Gullys und die Toiletten wieder an die Oberfläche drückte.
Mit den steigenden Flüssen kam noch als drittes Problem das gleichermaßen steigende Grundwasser hinzu. Mit zerstörerischer Wucht drängte es gegen die Fundamente der Häuser. Wer das oben eingelaufene Wasser zu gut abgepumpt hatte, gefährdete durch den fehlenden Gegendruck die Statik des ganzen Gebäudes.
Wie es unserer Gemeinde in dieser Zeit ergangen ist, lesen Sie bitte in unserem Fluttagebuch nach:
Montag, den 12.08.2002:
Seit dem Vorabend gießt es in Strömen. Ein Rundgang durch die Festungsräume gegen 8 Uhr beruhigt uns: Alles in Ordnung, die Elbe noch keine Gefahr.
Bereits 9 Uhr steht der Kirchraum 15 cm unter Wasser. Aus den Gullys vor den Eingängen schießt in hohen Fontänen das Abwasser der Stadt empor und hat einen See gebildet, der durch die Türen nach innen dringt. Unsere Toilettenbecken liefern das Ihre dazu. Wir stellen alles, was sich heben lässt, auf die stabilen Banketttische. Pumpen werden organisiert.
Dienstag, den 13.08.2002:
Trotz ständig laufender Pumpen steigt das Wasser auf ca. 50 cm an.
Mittwoch, den 14.08.2002:
Der Pegel im Kirchraum steht jetzt bei ca. 80 cm, die Elbe ist noch immer weit unterhalb der Gefahrenzone. Im Kirchraum pumpen wir das Wasser über den Fahrstuhlschacht nach oben auf die Straße. Wir holen uns Sandsäcke, die ab heute auf dem Altmarkt ausgeliefert werden. Helfer kommen von überall her und werden mit offenen Armen empfangen. Gemeinsam dichten wir die Eingänge bis auf eine Höhe von 1,30 m ab. Dadurch geht der Pegelstand innen wieder etwas zurück. Jedoch ist der Kirchraum schon längere Zeit unzugänglich geworden: die Türen lassen sich wegen des Wasserdrucks nicht mehr öffnen und der Fahrstuhl – der einzige Zugang von oben – ist schon seit Montag außer Betrieb.
Donnerstag, den 15.08.2002:
Gegen Abend strömt die Elbe über die kleine Erhebung vor den Eingängen und ergreift von unserem Kirchraum und der Kasematte vollends Besitz. Wir müssen untätig zusehen.
Freitag, den 16.08.2002:
Die Elbe steigt weiter stetig an. In der Nacht zum 17.08. erreicht die Flut in Dresden mit 9,40m ihren Höchststand.
Samstag, den 17.08.2002:
„Still ruht der See“ … – eine unheimliche Stille! Das Bild zeigt den Eingangsbereich zum Kirchraum, den sogenannten Gondelhafen, am Morgen: nur noch 5 cm ragen die großen eisernen Eingangsgitter über die Wasseroberfläche hinaus.
Sonntag, den 18.08.2002:
Die Gemeinde trifft sich im unversehrt gebliebenen Gemeinderaum zum Gottesdienst. Wie durch ein Wunder sind unsere Heimbewohner einer Evakuierung entgangen. Das Seniorenheim ist voll funktionsfähig, zwar ohne Fahrstuhl, aber mit (Not-)Strom und Trinkwasser versorgt. So mischt sich in unsere Verzweiflung doch auch der Dank für diese gnädige Fügung.
Montag, den 19.08.2002:
Am Abend ist der Pegel so weit gefallen, dass wir einen Teil der Sandsäcke abbauen und eine Tür zum Kirchraum öffnen können. Ein unbeschreiblicher Anblick bietet sich uns, die Bilder dokumentieren es!
Die Höhe des Wasserstands ist deutlich an der dunklen Färbung der Wände zu erkennen, wir haben etwa 3m gemessen. Wegen des unerträglichen Gestanks und der eintretenden Dunkelheit können wir heute nur die Gemälde und einen Teil der Stühle bergen.
Soweit der Zeitbericht von 2002.
In den folgenden Tagen wurde das Inventar begutachtet: Die geliehene Truhenorgel und unser Flügel waren nicht mehr zu retten, die übrigen Möbel und Einbauten hatten massive Schäden. Allein unsere Stühle überlebten fast unangefochten. Fleißige Helfer von überall her haben sie geschrubbt, desinfiziert und ins Gemeindehaus zum Trocknen getragen.
Der große Schaden und die wunderbare Hilfe
Alles in allem war ein Schaden von etwa einer halben Million € entstanden. Dies rechnete sich noch einmal um ein Gleiches nach oben, da wir eine neue, verbesserte Flutvorsorge ins Blickfeld rücken mussten. Wie sollten wir diese Summen jemals aufbringen?
Die Existenz unserer Gemeinde und damit auch des Seniorenheims war akut gefährdet. Ein Notruf an die Gemeinden unseres Bundes und an die Evangelisch – reformierte Kirche in Leer setzte eine Welle der Hilfsbereitschaft in Gang, wie es keiner je für möglich gehalten hätte. Unzählige Einzelspenden sind auf unserem Konto eingegangen, in den Gemeinden wurde gesammelt, Basare, Benefizkonzerte und andere Aktionen zu unseren Gunsten veranstaltet – vieles müsste aufgezählt werden, die Spendenliste ist lang. Die Hilfe war überwältigend, war gelebte Nächstenliebe. Die Zusage unseres Herrn, dass er „das geknickte Rohr nicht zerbrechen“ wird (Losungstext in den Tagen der Überflutung), hat sich hier auf eine wunderbare Weise erfüllt.
Es war tatsächlich möglich geworden, nicht nur den alten Zustand wiederherzustellen, sondern dabei auch einen verbesserten Hochwasserschutz einzubringen. So lassen sich jetzt die Abwasserkanäle durch Rückstauklappen und die Eingangstüren durch Abschottelemente abdichten. Der Kirchvorplatz wurde abgesenkt und in die Fußböden der Festungsräume entlang der Mauern eine Rinne gezogen, um das Grundwasser dort sammeln und abpumpen zu können. Für die Unterbringung der entsprechenden Gerätschaften ist ein bisher zugemauerter Gewölbegang an der Südseite des Kanonenhofs geöffnet und beräumt worden. Von da aus führt ein Notausstieg nach oben auf die Straße. Damit bleiben im Ernstfall die Räume länger zugänglich und das bewegliche Mobiliar lässt sich noch herausholen. Alle Bauarbeiten wurden im Oktober 2004 erfolgreich abgeschlossen.